Seit dem Blitzeinschlag am 27.07.2023 steht MariaNoa auf dem Trockenen in der Nanajuana Marina am Rio Dulce in Guatemala. Der Rio Dulce ist als s.g. Hurricanhole bekannt, hier suchen Segler während der jährlichen Hurricanseason Schutz.
Falsch gedacht. Statt Schutz zu finden, nimmt MariaNoa den größten Schaden ihres Schiffslebens. Man sieht es MariaNoa nicht an, aber elektronisch gesehen, ist sie tot. Alles was einen Halbleiter hat, ist zerstört. Nichts geht mehr – keine Motoren, keine Navigation, keine Kommunikation. Zunächst wird der Schaden analysiert, dann die Bestellungen der Ersatzteile angeschoben. Erwins Yacht Service übernimmt die Bestellung all der Teile, die in den USA zu erhalten sind, ich selbst die europäischen Produkte bzw. Neuseeland.
Wartezeit
Die Wartezeit bis die ersten Ersatzteile in Guatemala eintreffen zieht sich unerträglich hin. Ich nutze die Zeit um den geschädigten Rumpf reparieren und mit neuem Antifouling versehen zu lassen. Alles was Weiß ist am Schiff wird gereinigt, gewachst und poliert. Außerdem arbeite ich eine lange To Do- Liste ab.
Nationalfeiertag
In diese Zeit fällt am 15. September der Nationalfeiertag Guatemalas. Mit der Nachstellung des historischen Fackellaufes wird die Unabhängigkeit von Spanien gefeiert. Eine heiße Diskussion um sinnvolle Gründe für Nationalfeiertage entbrennt in der Seglercommunity. Die Wiedervereinigung Deutschlands gilt hier als besonders positives Beispiel.
Wetter
Das Wetter ist unerträglich. Es ist heiß, tropischer Regen fällt und insbesondere nachts gibt es wochenlang Gewitter. Bei jedem krachenden Blitz zucke ich zusammen. Zu stark sind die Erinnerungen an unseren Blitzeinschlag.
Straßenblockaden
Die korrupte Elite im Land versucht mit allen Mitteln die Amtsübernahme durch Arevalo zu verhindern. Die Bevölkerung Guatemalas will sich dies nicht gefallen lassen. So kommt es landesweit zu friedlichen Sitzblockaden, die Straßen Guatemalas und damit das gesamte Land kommen zum Stillstand. Unter den damit verbundenen Versorgungsproblemen leidet insbesondere die Bevölkerung. Die Menschen zudem kommen nicht zur Arbeit. Als Tagelöhner wird ihnen damit ihre Existenzgrundlage entzogen.
Weitere Informationen zu den politischen Hintergründen witr unten.
Flucht aus Guatemala
In diese Zeit fällt meine Abreise nach Deutschland. Der Landweg zum Flughafen von Guatemala Stadt ist jedoch versperrt. Ich verschiebe meinen Flug um zwei Tage aber die Situation im Lande wird eher noch schlimmer. Auch alternativ mit einem Hubschrauber oder mit einer Cessna zum Flughafen der Hauptstadt vorzudringen, scheitert. Es gibt kein Kerosin. Schließlich wird mein Flug von Guatemala City sogar annulliert. Ich muss erkennen, dass ich auf absehbare Zeit von Guatemala aus nicht nach Deutschland komme, ich am 30. Geburtstag meines Sohnes Tobias nicht teilnehmen können werde.
Fluchtartiger Aufbruch
Kurz entschlossen entscheide ich mich über Belize auszureisen. Mario mein Elektriker fährt an diesem Morgen mit seinem Lancha nach Porto Barrios und setzt mich in Livingston, der letzten Stadt in Guatemala ab. Die Sausefahrt auf dem wunderschönen Rio Dulce dauert ca. 1 Stunde. Bei dröhnender Musik. Unterwegs fotografiert Mario meinen Reisepass und meldet mich beim Wassertaxi nach Belize an. Eine gute Entscheidung.
Livingston - Guatemala
In Livingston kenne ich mich von der Einreise ein wenig aus. Ich erkundige mich nach Immigration. Die Routineprozedur ist schnell erledigt, der Auseisestempel findet seinen Platz zwischen all den Stempeln, die sich während unserer Reise angesammelt haben. Die Stunden bis zur Abfahrt des Wassertaxis verbringe ich in einem kleinen Restaurant mit angeschlossenem Reisebüro. Hier erhalte ich sowohl ein leckeres Frühstück als auch wichtige Informationen für meine Weiterreise.
Wassertaxi - Guatemala-Belize
Das Wassertaxi nach Punta Gorda in Belize startet um 11:00 Uhr. Es ist überbucht. Dank der Anmeldung durch Mario habe ich einen der letzten Plätze sicher. Auch diese Rauschefahrt dauert ca. 1 Stunde. Die See ist überraschend ruhig. So war es nicht als wir in Gegenrichtung gesegelt sind. Das Gepäck der übrigen Fahrgäste türmt sich im Bug und droht ins Meer zu stürzen. Ich selbst habe nur Handgepäck, meine bereits gepackte Reisetasche bleibt auf MariaNoa zurück. Diese chaotische Reise erlaubt kein sperriges Aufgabegebäck mit den damit verbundenen möglichen Problemen insbesondere bei der Reise über einen Flughafen in den USA.
Punta Gorda - Belize
Auch Punta Gorda kenne ich bereits. Hier waren wir als wir von Belize ausgescheckt haben, um nach Guatemala Richtung Süden zu segeln. Immigration und Customs sind schnell überwunden. Der Ort selbst ist nichtssagend und irgendwie deprimierend. Ich fühle mich nicht animiert hier ein wenig herumzuschlendern. Im Office von James Bus Line warte ich somit auf die Abfahrt nach Belize City. Hier verkehren die berühmten unklimatisierten Chickenbusse, die spartanisch sind und alles transportieren, was ggf. so vorstellbar ist – eben auch Hühner. Es gibt die Standardvariante und den Expressbus. Meine Standardverbindung startet eine Stunde früher. Am Ende der 6-stündigen Fahrt sitzt man dann aber doch mit den Passagieren des Expressbus im gleichen Fahrzeug.
Belize City
Die Hauptstadt von Belize ist ein verwahrlostes Loch – man kann es nicht anders sagen. Auf dem Weg vom Busstop bis zu meiner Unterkunft fahre ich mit einem nicht identifizierbaren Taxi. Ich tue das, was man nicht tun soll und steige in finsterster Nacht zu zwei Männern in ein nicht mehr Straßen taugliches Auto. Auf Google Maps sehe ich, dass der Fahrer nicht Richtung Hotel fährt. Mir wird langsam heiß. Doch als der Fahrer seinen Mitfahrer absetzt und wir unsere Fahrt deutlich Richtung Hotel fortsetzen, entspanne ich mich wieder. Mir pocht das Herz als wir endlich vor einem stählernen Tor im Nirgendwo anhalten. Hinter dem Tor öffnet sich ein kleines Hotel, das man wärmstens empfehlen kann.
Flug nach Housten
Nach dem Frühstück fahre ich mit einem wesentlich ansprechenderen Taxi zum Flughafen und fliege mit Delta Airlines nach Atlanta Georgia. Obwohl ich drei Stunden Aufenthalt und eben kein Reisegepäck habe, wird die Zeit zum Anschlussflug knapp. Die Amis sind spätestens seit 9-11 neurotisch. Jeder Gast ist ein potentieller Attentäter. Beim Buchen z.B. zwischen Europa und Zentralamerika empfehle ich jedem Fluggast eine Verbindung ohne Zwischenstopp in den USA zu buchen.
Flug nach Amsterdam
Weiter geht es erneut mit Delta nach Amsterdam. Nach Monaten unter Maya Indianer sind die Niederländer einfach riesig. Alles ist sauber und gepflegt und das Toilettenpapier muss nicht mehr in einen separaten Eimer geworfen werden. Wasser aus dem Wasserhahn kann man trinken. Was für eine andere Welt.
Flug nach Hamburg
Der kurze Flug nach Hamburg wird von KLM durchgeführt und hat natürlich Verspätung. Nach 48 Stunden endet die Odyssee in meiner Heimatstadt. Brigitta und meine Schwester Ulrike nebst Schwager Günther holen mich am Flughafen ab. Rechtzeitig kann ich meinem Sohn Tobias anlässlich seines Geburtstages sowie meine Tochter Carolin mit jeweiligen Partnern in die Arme schließen. Schon am kommenden Tag steigt die Geburtstagsparty – ich bin just in time.
Hamburg steht für Ballett in der Oper, Curryurst am Jungfernstieg, Champagner trinken im Alsterhaus. Tobias hat inzwischen seinen Jagdschein gemacht und geht mit mir auf den Ansitz. In der untergehenden Sonne des Alten Landes beobachten wir Rehe und Hasen.
Ich besuche einen Vortrag mit dem Polarforscher Arved Fuchs zum Thema Klimaveränderung und Motivation von jungen Menschen, wir erleben eine private abendliche Führung durchs Menschen leere Rathaus und machen einen ausgedehnten Spaziergang an den nächtlichen Landungsbrücken. All diese Kultur genieße ich sehr.
Unser Heimataufenthalt endet mit der Hochzeit von Brigittas Sohn Nicolas mit seiner jetzigen Frau Katharina. Beide wollen im Januar ihre Flitterwochen auf MariaNoa verbringen. Davor steht noch viel viel Arbeit, um unseren geliebten Katamaran wieder Hochsee tauglich zu machen.
Informationen zu den politischen Hintergründen
Straßenblockaden
In Guatemala endete 1996 ein 36 Jahre andauernder Bürgerkrieg. Die Aufarbeitung der Verbrechen kommt nicht voran. Noch immer ist Gewalt ein großes Problem im Land. Nach Angaben der UNO leben 60 % der mehr als 17 Millionen Guatemalteken in Armut, wovon speziell die indigene Bevölkerungsmehrheit betroffen ist.
Während der Amtszeit desaktuellen Präsidenten kam es zu einer Aushöhlung demokratischer Institutionen, so wurden missliebige Richter abgesetzt und kritische Journalisten eingeschüchtert. Gleichzeitig lenkten die politisch einflussreichen Freikirchen die politische Debatte weg von Themen wie sozialer Gerechtigkeit, dem Bildungssystem und der Gesundheitspolitik hin zu gesellschaftspolitischen Themen wie Homo-Ehe und Abtreibung. Mehrere aussichtsreiche Kandidaten wurden vor der Wahl ausgeschlossen, die Tochter des verstorbenen Diktators, die verfassungsgemäß nicht hätte antreten dürfen, wurde jedoch zugelassen.
Erster Wahlgang
Neben der Präsidentschaftswahl fand zugleich die Parlamentswahl statt. Dem amtierenden Präsidenten war es verfassungsrechtlich untersagt, für eine zweite Amtszeit von vier Jahren zu kandidieren.
Im ersten Wahlgang erhielt Sandra Torres, 15 Prozent der Stimmen. Bernardo Arévalo, Sohn des ersten demokratisch gewählten Präsidenten Guatemalas, kam mit 11,8 Prozent auf die zweithöchste Stimmenanzahl.
Stichwahl
Da kein Präsidentschaftskandidat mehr als 50 % der Stimmen erhielt, wurde am 20. August 2023 ein zweiter Wahlgang zwischen den beiden Erstplatzierten angesetzt.
Arévalo vertrat gesellschaftlich liberale und sozialdemokratische Positionen.
Während zuvor Sandra Torres als letzte aussichtsreiche Kandidatin der politischen Linken gehandelt wurde, änderte sie nach der Wahl ihre politische Ausrichtung und versucht nun, mit gesellschaftlich rechtskonservationen Positionen Stimmen des rechten und des evangelikalen Lagers einzufangen. Während sie während der früherer Wahlen noch selbst vom Establishment bekämpft wurde, gilt sie inzwischen als gut integriert in die alten Eliten.
Gemäß dem vorläufigen amtlichen Endergebnis nach der Auszählung von 100 % der Stimmen erhielten Arévalo ca. 58 % und Torres ca. 37 % der ca. 4,2 Millionen abgegebenen Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von ca. 45 %.
Manipulationsversuche
Während des Wahlkampfes zur Stichwahl gab es massive Versuche, den Wahlprozess zu untergraben. Am 12. Juli 2023 erklärte die Generalstaatsanwältin die Semilla-Partei aufgrund angeblicher Fälle falscher Unterschriften zur Gründung der Partei für aufgelöst und Arévalos Kandidatur für ungültig. Der Entschluss der Generalstaatsanwältin wurde einen Tag später vom Verfassungsgericht aufgehoben. Dennoch wurde das Büro der Semilla-Partei von der Polizei durchsucht. Die Wahlkommission beantragte eine Untersuchung, inwieweit die Exekutive versuchte, demokratische Prinzipien auszuhebeln.
Zu diesem Blogbeitrag steht ein gleichnamiger YouTube-Film zur Verfügung https://www.youtube.com/watch?v=0yuZ5t1F9Oc&t=28s&pp=ygUIbWFyaWFub2E%3D